Schmitz Cargobull-Fertigung in Gotha

Von der Metallplatte zum Muldenkipper

Blick in die Produktionshalle: So langsam lässt sich erahnen, dass es einmal eine Mulde werden soll. Foto: Schmitz Cargobull

Gotha – Es riecht nach Metall. Schwer und ölig. Die alte Industriehalle mit dem geschwungenen Dach ist fußballfeldgroß. Auf den ersten Blick wirkt sie leer. Doch das scheint nur so. Hier lagern acht Meter lange Platten hochfesten Stahls aus Schweden. Sie sind kniehoch gestapelt und bilden das Rohmaterial der Kipperproduktion von Schmitz Cargobull. Das Fahrzeugwerk Gotha verwandelt diese Platten zu Muldenkippern. Aktuell sind es 135 Kipper pro Woche.

Eine mächtige, an der Decke befestigte gelbe Saugtraverse mit 5 Tonnen Tragelast hebt die Platte mit ihren vier riesigen Magneten an und fährt sie zum Transport in die nächste Halle. Dort gleitet sie in die Schneideanlage. Ein Laser schlitzt den Stahl als wäre es einfaches Papier und formt aus ihm die Seitenwandflächen. Noch sieht es aus wie ein riesiges Puzzle aus Metallteilen. Doch nur einige Hallen weiter wird ein fertiger Muldenkipper die Produktion verlassen.

Wenige Meter weiter formt die Plasmaschneideanlage kleine Einzelteile, die an die Mulde angeschweißt werden, wie etwa Verriegelungen für die Rückwand. Über Rollen schieben sie die großen Puzzlestücke zum nächsten Arbeitsschritt. Mit Kreide malt ein Mitarbeiter eine Nummer auf jedes Teil. "Das ist Teil unserer Qualitätskontrolle", erzählt Andre Zeidler, Produktmanager bei Schmitz Cargobull in Gotha. Er ist einer der 700 Menschen, die in Gotha in der Kipperproduktion beschäftigt sind. "Anhand der Nummer können wir jedes Teil identifizieren."

Alexander-Cosmin Teleki, Leiter der Produktlinie Kipper in Gotha. Foto: Andrea Lammert

Nicht immer wurden in Gotha Muldenkipper gebaut. "Unsere Anfänge liegen im Karussellbau", erzählt Andre Zeidler. Im Jahre 1883 gründete der Schlosser Fritz Bothmann eine kleine Schlosserei, in der er Jahrmarktvergnügungen baute. Schon zwei Jahre später expandierte sein Betrieb derart, dass er neue Räume anmieten musste. Er stellte wunderschöne Karussellkabinen in Form von Pferden oder Elefanten aus Metall her. Wenige Jahre darauf brachte der Kaufmann Louis Glück weiteres Kapital in die florierende Firma. Zur Freude der beiden Unternehmer angelten sie sich schnell einen weiteren Geschäftszweig: Sie bauten Waggons für Straßenbahnen und Eisenbahnzüge. Die Gothaer Waggonfabrik wurde schnell eine bekannte Marke. Später wurden dort nicht nur Waggons, sondern auch Flugzeugteile und nach Ende des Zweiten Weltkrieges Teile für den Wartburg-Pkw gebaut.

Per Roboter geschweißt

Vom Waggonbau und der Chassis-Produktion ist es nur ein kleiner Schritt zur Kipperproduktion. Das dachte sich wohl auch Schmitz Cargobull, die 1997 dort einen Produktionsstandort eröffneten.

Viele der Hallen strahlen von außen nostalgisches Flair aus und erinnern an die alte Waggonfabrik, doch innen arbeitet die jüngste Technik. Die ausgeschnittenen Teile sind inzwischen gebogen und per Saugtraverse auf die Schweißstraße gehoben worden. Nun heißt es, die Einzelteile punktuell per Hand zu schweißen. Menschen, die einem Star-Wars-Film entsprungen sein könnten, stehen in dicken Schutzanzügen, mit Schweißhelm und Frischluftschläuchen an der Anlage. Sie setzen den Schweißkolben an und fügen Boden und Seitenwände zusammen. Jetzt ist aus der flachen Platte schon ein waggonähnliches Produkt geworden. Die Historie lässt grüßen, Eisenbahnwaggons und Kipper gleichen sich bis heute in der Form. "Die Arbeiter hier schweißen nur punktuell vor, die langen Nähte zieht unser Roboter", erklärt Zeidler den Fortschritt der Produktion.

Verkleidung mit schwimmend verlegten Isolierblechen, verwindungssteifes Chassis, mehr Standsicherheit - der M.KI Motorwagen mit Hinterkippaufbau ist nun noch besser ausgestattet und hat einen niedrigeren Schwerpunkt. Andrea Lammert

Seit 2013 unterstützen Roboter die Fertigung, blaues Schweißlicht ist durch das kleine Fenster zu sehen, an der Mulde fehlt nur noch das Chassis. Die Teile dafür werden in der nächsten Halle zurechtgeschnitten, zusammengeheftet und dann wieder per Roboter an der Mulde fest geschweißt. "Gerade im Schweißbereich herrscht ein enormer Fachkräftemangel", berichtet Zeidler. Auch deswegen ist das Unternehmen froh, rechtzeitig auf Robotertechnik gesetzt zu haben. Künftig möchte man auch noch mehr automatisieren, etwa bei der Lackierung.

Wie viele Fahrzeughersteller hat auch Schmitz Cargobull bewegte Zeiten hinter sich. Der Leiter der Produktlinie Kipper, Alexander-Cosmin Teleki, fügt hinzu: "Wir haben im letzten Geschäftsjahr 22/23 etwas weniger Kipper verkauft und damit auch weniger Umsatz verbucht, im Vergleich zu den Vorjahren, trotzdem konnten wir unsere Stellung als Europäischer Marktführer halten." Und mit Stolz ergänzt er: "Hier am Standort Gotha sind wir das größte Kipperwerk Europas." Nicht nur Mulden und Spezialaufbauten wie etwa 4-Achs-Sattelkipper für Übersee werden dort gefertigt, sondern auch einen Großauftrag an Kippbehältern für den kombinierten Verkehr für das Projekt "Stuttgart 21" hat das Werk bearbeitet – für die Deutsche Bahn.

Die typischen Elefanten mit dem aufgestellten Rüssel sind als Firmenmaskottchen überall an den Kippern von Schmitz Cargobull zu finden. Foto: Andrea Lammert

Heute ist man bei Schmitz Cargobull nicht nur stolz auf die vielen Varianten, die man dort bauen kann, sondern vor allem auf die technischen Neuerungen im Kipperbereich. Auf den Kippertagen stellte der Hersteller seine jüngste Generation von Mulden und Rahmen vor. Zu den Neuerungen gehört beispielsweise ein On-Board-Wiegesystem. Mithilfe der verbauten elektronisch gesteuerten Luftfederung sowie der Hydraulikzylinder wird die Zuladung des Fahrzeugs ermittelt.

"Das ab Werk kalibrierte Wiegesystem ist für den Kunden wirtschaftlicher als andere Systeme mit zusätzlich angebrachten Sensoren und außerdem robuster, um den harten Einsatzbedingungen eines Sattelkippers standzuhalten", so das Unternehmen. Die Bedienung erfolgt intuitiv wahlweise über einen mitgelieferten Bildschirm oder über das Smartphone. Neu ist auch die Thermoisolierung. Bei den Stahl-Rundmulden ist sie so aufgebaut, dass Isoliermaterial und Außenblech nicht miteinander verbunden sind. Dadurch wird die Seitenwand segmentiert isoliert. Das bringt den Vorteil mit sich, dass die einzelnen Segmente ausgetauscht werden können, falls sie beispielsweise von Radladern beschädigt werden.

Telematik und Druckkontrolle

Zu den Neuerungen gehört auch das Reifendruckkontrollsystem, das ab Juli dieses Jahres zwingend für Trailer vorgeschrieben ist. Auch bei laufender Fahrt hat der Fahrer seinen Reifendruck somit stets im Blick, so lassen sich Unfälle und Ausfälle besser vermeiden und zudem werden mit idealem Reifendruck auch CO2-Werte und Kraftstoffverbrauch so umweltschonend wie möglich gehalten. Kombiniert mit der Telematik können auch die Spedition oder der Disponent immer den Status des Fahrzeugs prüfen – überall auf der Welt. "Unsere Fahrzeuge, die ab dem 1. Februar bestellt werden, verlassen standardmäßig mit dem Telematiksystem TrailerConnect das Werk", betont Alexander-Cosmin Teleki.

Und nicht nur das: Sie werden auch auf Standfestigkeit geprüft. Denn nichts ist schlimmer, als wenn ein Kipper kippt – also umkippt. Dazu braucht es gar nicht viel Neigung, schon ab einem Neigungswinkel von 7 Grad kann der Trailer sich nicht mehr halten. Die sind schnell erreicht, etwa bei unwegsamem Gelände. "Wir testen unsere Fahrzeuge regelmäßig an unserer Kippanlage und arbeiten auch kontinuierlich daran, die Kippstabilität zu erhöhen", erklärt er.

Neue Teile an Mulde oder Chassis werden zunächst von Hand mit dem Schweißgerät angeheftet. Die langen Schweißnähte zieht später der Roboter. Foto: Schmitz Cargobull

Direkt hinter der Testanlage befindet sich die letzte Halle des Fahrzeugbauers: Dort werden die fertigen Kipper abgeschliffen und lackiert. Zwei Arbeiter stehen mit einem Handschleifgerät an der riesigen Mulde und glätten Schweißnähte und kleine Unebenheiten. "Hier folgt als nächstes die Automatisierung. Es ist eine sehr ermüdende Arbeit, die man deutlich erleichtern kann. Wir haben derzeit die neue Schleifstraße in der Testphase. Bald wird sie hier eingesetzt und dann gehört diese schwere Arbeit der Vergangenheit an", informiert Zeidler weiter. Künftig übernehmen Roboter und selbst rotierende Systeme den Knochenjob.

Jetzt heißt es nur noch lackieren. Ob weiß, schwarz, gelb, blau oder rot – der Farbwahl sind kaum Grenzen gesetzt. Und dann heißt es rausfahren, den Kipper über den Hydraulikzylinder mit dem Fahrzeug verbinden und ab auf die Straße. Wenn der neue Besitzer den Kipper abholt, passiert er auch die Empfangshalle von Schmitz Cargobull in Gotha. In der Ecke steht fast unscheinbar ein Pkw-Chassis, das einst hier gebaut wurde. Es gehört zu dem letzten Wartburg, der in der DDR produziert wurde und erinnert daran, dass so mancher damals zehn bis dreizehn Jahre warten musste, bis er seinen Wagen endlich geliefert bekam. Die Produktion eines Kippers dauert heute sieben Tage. Wie sich die Zeiten doch ändern ...

Ausgewählte Unternehmen
LLVZ - Leistungs- und Lieferverzeichnis

Die Anbieterprofile sind ein Angebot von llvz.de